Montag, 7. September 2009

Von Glatzen, die zu Berge stehen, fehlgeleiteten Schulbussen und vielleicht auch einem Beamer

Es ging rund auf der Ausschusssitzung im Stadtzentrum. Nicht nur Mitglieder der einzelnen Fraktionen hatten sich versammelt, um über die Vorlage abzustimmen, ob Raunheim sich zukünftig einen Hochleistungsbeamer anschaffen wird - nein, erfreulicherweise waren auch mehr als zwölf moralische Unterstützer der Raunheimer Kulturfront anwesend und quetschten sich in die hinteren Reihen.

Es wurde für die Außenstehenden eine sehr lustige Diskussion, die von Glatzen handelte, die zu Berge stehen wollten. Oder über womöglich fehlgeleitete Schulbusse. Und ein bisschen Beamer war auch dabei. Super!

Souverän legte Bürgermeister Thomas Jühe das Anliegen vor, berichtete über die Gründung des Kino- und Kulturverein Raunheims und erläuterte anschließend die Bedarfssituation. Immer wieder sei er in seiner Amtszeit von Bürgern angesprochen worden, warum es in Raunheim eigentlich kein Kino gäbe. Dieser Wunsch sei immer wieder geäußert worden. Er lobte den Zusammenschluss der Raunheimer Bürger, die in organisierter Form ihren Filmwunsch in die Tat umsetzen wollen und nun den Vereinsstatus erreicht haben.
"Soviel Eigeninitiative muss unterstützt werden. Wir wollen dem Treiben nicht einfach so zuschauen", forderte Jühe, denn schließlich seien die Ziele des Bildungskonzept Raunheims (BKR) und die des Vereins identisch: man wolle sich dem medialen Verdauungsprozess entschieden entgegenstellen und kämpfe gegen die Verdummung der Medien.
"Wenn ich mir manchmal das Fernsehprogramm am Mittag anschaue, würden meine Haare immer zu Berge stehen ... zumindest, wenn da welche wären. Aber das Gefühl auf der Haut ist ähnlich", scherzte der Rathauschef.
Für ihn ist es wichtig, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, wenn es um die Kulturförderung geht. Das bedeutet in diesem speziellen Fall Filme zu zeigen, die nicht kommerziell und dem Mainstream zugehörig sind, sondern einen gewissen Anspruch und Bildungsauftrag haben.

Sillschweigendes Nicken hier unter den Filmverfechtern, denn ein Rederecht hatte sich leider niemand geholt, obwohl die darauf folgende Diskussion wortlos nur schwer zu ertragen war.

Nachdem Jühe die Interessenverbindung zwischen der Stadt und dem Verein hinreichend dargestellt hatte, kam er zur Vorlage. Der Kinosaal im Stadtzentrum sei zumindest funktional da. "Nun müssen nur noch Voraussetzungen geschaffen werden, damit das Anschauen auch Spaß macht."
Diese Anspielung galt einem Streben in der Vergangenheit, Nachmittagskino für Senioren anzubieten. Die typischen Kassenschlager aus den fünfziger Jahren haben die Senioren jedoch alles andere als begeistert. Die Qualität wurde bemängelt. "Da brachte der einfache Fernseher zu Hause mehr", erinnerte sich Jühe.

Die Anschaffung eines mobilen Hochleistungsbeamers hingegen würde die Begeisterung für die alten Filme wieder erwecken. Zudem seien die Einsatzgebiete für den Beamer vielseitig. Nicht nur Open-Air-Veranstaltungen im Sommer könnten dadurch unterstützt werden. "Eine portable Leinwand haben wir schon."

Die SPD-Fraktion stimmte geschlossen dafür und bestätigte die Nachfragen aus der Raunheimer Bevölkerung. Die Kinolandschaft wiederzubeleben, sei ein wichtiges Ziel für das Raunheimer Kulturleben.

Die FDP-Fraktion stimmte zunächst mit Einschränkungen für die Vorlage. Es bestehe Informations- und Beratungsbedarf, der vor der Anschaffung dringend befriedigt werden müsse. Ein Erfahrungsaustausch mit den Gustavsburger Kinofreunden - ja, vielleicht sogar eine Kooperation! - sei wünschenswert.
Da der Beschluss sehr offen gehalten war und Jühe einräumte, dass ein ausführliche Orientierung und Beratung im Vorfeld selbstverständlich unersetzlich war, stimmte die FDP schließlich ohne Einschränkungen für den Vorschlag.

Die CDU-Fraktion lehnte den Vorschlag zunächst konsequent und geschlossen ab. Die Anschaffung des Beamers sei nicht angebracht und den anderen Vereinen gegenüber unfair. Das Geld - so ein etwas unglücklicher Vergleich - könnte lieber und effizienter in eine neue Schulbusverbindung nach Rüsselsheim fließen.
(Oder vielleicht lieber in die Feinabstimmung der Rüsselsheimer Ampelanlagen, die für eine Autostadt so gut aufeinander abgestimmt sind, dass man bei jeder der unzähligen Rotphasen schön den Blick auf die schöne Stadt schweifen lassen kann??) Meine Schwester und ich waren als (ehemalige) Schülerinnen Rüsselsheims immer sehr zufrieden mit den Bus- und Zugverbindungen. Und ab und an ist das Radfahren auch sehr schön, aber das nur so nebenbei bemerkt ;)

An dieser Stelle beschwichtigte Wolfgang Becker die Diskussion. Die Initiative der Raunheimer Bürger sei gut und förderungswert, aaallerdings würde die Vorführanlage primär für den Verein und nicht für die Stadt angeschafft werden. Er kritisierte, dass die strengen Regeln der Vereinsförderung nicht zulassen würden, dass ein Verein, der nicht Mitglied im Vereinsring und bei dem unklar ist, wieviel Prozent der Mitglieder aus Raunheim kämen, so eine große Förderung bekäme.
"Der Grundbedarf muss für alle ausreichen. Ich bin gegen eine Luxusförderung. Wir schaffen für Grundschüler ja auch Fahrräder und keine Motorräder an", erläuterte Becker.

Thomas Jühe kritisierte die Argumentation. "Ich finde es nicht gut, wenn die Diskussion darauf hinausläuft, die Vereine gegeneinander auszuspielen." Als Gegenargument für die angebliche "Vereinsförderung" brachte Jühe den Sportpark und das Hallenschwimmbad an. Beide sind im Besitz der Stadt und würden für alle Bürger und Vereine zur Verfügung gestellt werden. "Weil wir es so für sinnvoll halten."
Er plädierte dafür, dass die Stadt Voraussetzungen schaffen muss, die von den Bürgern genutzt werden können. "Dies hat nichts mit Vereinsförderung zu tun und ich habe bislang kein Argument gehört, dass den Zug stoppen könnte", schloss er.

Selbst in der Vorlage ist nirgendwo etwas von der alleinigen, ausschließlichen Nutzung durch den Kino- und Kulturverein Raunheim zu lesen. Sondern:

"Ebenfalls soll für kulturelle Veranstaltungen wie Theateraufführungen, Kunstaufführungen und Infoabende die Bild- und Tonanlage eingesetzt werden können. Darüber hinaus ist der Einsatz für Bürgerinformationsveranstaltungen und Infoabende von Verwaltung und Unternehmen geplant. Auch das Bildungsangebot in Kooperation mit den ortsansässigen Schulen lässt sich über diese Anlage nachhaltig stärken. In diesem Zusammenhang wird gerade an Konzepten für Schulvorführungen, Schultheater und ein "Bildungskino" gearbeitet."

Wir selbst haben schon gute Kontakte zu Toleranz unter Nationen (TUN) geknüpft, die für ihr Kinderkino ebenfalls begeistert über einen neuen Beamer (und einen schöneren Kinosaal mit funktionierender Belüftung) wären. Aber auch das nur am Rande erwähnt.

Das Schlussplädoyer hielt Volker Schalle von der SPD-Fraktion, der auf "Kulturlücken" und den "Bildungsnotstand" hinwies. "Wieso verschwenden wir unsere Zeit mit so einer Diskussion, wenn wir eigentlich so viel Glück haben?", fragte er sich und den Rest der Versammelten. Er lobte den Zusammenschluss der vielen ehrenamtlichen Filmfans und plädierte dafür, die mobile Vorführanlage zu kaufen.
"Sie ist und bleibt Eigentum der Stadt Raunheim. Wieso ein Kind begraben, noch bevor es geboren wird?!"

Die SPD und die FDP stimmten für die Vorlage mit dem Hinweis auf Informationsbedarf. Die CDU enthielt sich.
Das Ergebnis? Der Vorschlag wurde angenommen :)

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